Die Bindungen an die Figur und die Landschaft,

welche wie ferne, aus dem Zusammenhang gebrachte Zitate emportauchen


Nach einem Beginn des rein Bildlichen hat Eugenio Mombelli den Weg eines “verdunkelten Bildlichen” bester Ausbeute gewählt. Innerhalb von im Allgemeinen dunklen Flächen -oder gegenteilig weißen Flächen in einer Farbe, die zwischen Gips- und Schneeweiß liegt- öffnen sich in der Tat scheinbar gegenstandslose Fenster, Bruchstücke einer verschleierten Geschichte, die erneut aus dem Gewebe des Gemäldes emportauchen wie Stücke einer Erzählung oder Zitate oder Stimmen, die von einem fernen Ort herkommen. Bild- oder Farbfragmente, welche wohl unmöglich auf die vollendete Gesamtheit der Geschichte schließen lassen, so wie die Bestandteile eines Freskos, welche aufgrund der Loslösung des Mörtels unter einer antiken Fahlheit wieder zum Vorschein kommen. Es ist unmöglich – so die Botschaft des Künstlers – in der Modernität zu einer Sicht der Gesamtheit zu gelangen. Das Novecento hat in nicht wieder rückgängig zu machender Weise die Möglichkeit zur Darstellung der menschlichen Gestalt aufs Spiel gesetzt. Das Novecento hat unter künstlerischem Aspekt die Einheit von Zeit und Raum, welche auf der Leinwand dargestellt wurde, aufgelöst. Und dasselbe Jahrhundert hat unter poetischem Aspekt nach der hermetistischen Periode im Allgemeinen das lyrische Fragment mit einer orakelhaft totalisierenden Einheitlichkeit im Ausdruck gefördert. Aus diesem Grund verwendet Mombelli Details, um auf der Leinwand eine rätselhafte Bresche zu schlagen, indem er das Werk in ein “Zimmer mit Aussicht” nach James Ivory verwandelt, d.h. einen finsteren Raum, in den unversehens blendendes Licht eindringt, und mit diesem das abnorme Detail eines Denkmals, das im Begriff ist, die erweiterten Pupillen eines Schattendaseins zu bewohnen; so ein Zitat hinsichtlich einer schwarzen Grundierung, welches Mombelli dem äußerst geschätzten Caravaggio entnimmt, einem Maler, der mit seinen dramatischen, streifenden Lichtern wie eine Schleuder ins Herz der Malerei des frühen Seicento vordringt. Und zwar so, dass die von Mombelli dem Betrachter gebotenen Blicke – eingebunden in einen hochwertigen informellen Rahmen unter dem Profil der bildenden Gleichgewichte anhand von farblichen Gewichten und grafischen Gegengewichten, Inschriften in Sgraffitotechnik, materischen Unebenheiten – Blicke einer aus dem Zusammenhang gebrachten Einzelheit sind. Es sind unter thematischem Aspekt zwei Strömungen, die er in letzter Zeit durchläuft: Die erste, welche wie Zitate aus ausgewählten fachlichen Broschüren erscheint, ist im Wesentlichen von Elementen beherrscht, welche auf Fresken hinweisen (und es sind elegante Rötelstifte, Zitate aus Rötelerde, Teile von durch eine innere Zeit verblassten Gemälden parietaler Grundlage erkennbar), ebenso wie auf die architektonischen Typologien, ergänzt durch unverständliche Inschriften, gerippt oder eingraviert in einer länglichen Kursivschrift, welche in ihrer spitzen Anmut an die deutsche Schrift, Abkömmling der gotischen Schrift, erinnert.

Das Eindringen solcher Inschriften in das Gemälde neigt dazu, den Gedanken an die Lückenhaftigkeit der Wahrnehmung, welche sich gezwungenermaßen in einer staubigen Essenz bewegt, zu unterstreichen. So wie die Stücke der vom Schwarz oder vom Tiefblau kommenden Malerei unermessliche Einzelheiten sind, so unterstreichen auch die Worte in einer inexistenten Sprache den orakelhaften Charakter der Malerei Mombellis, welcher den Genießer mit einem zu lösenden Rätsel in Bezug auf das Sinnverständnis zu fesseln vermag. Die zweite Strömung ist die der “verdunkelten Landschaften”. Hier blühen anstelle der zeichnerisch-malerischen Elemente aus weit zurückliegenden Zeiten die Farben der Landschaften wieder auf, welche stets durch nicht geometrische Masken in sich geborgen sind, welche die vollständige Sicht des Panoramas aufgrund von äußerst dunklen Öffnungen verhindern. Es scheint an diesem Punkt angebracht, auf den von Mombelli angewandten malerischen Modalitäten zu verweilen, um bis auf den Grund zu verstehen, was „Verdunkelung“ bedeutet. Der Künstler geht nicht vom Informellen aus, um zum Abstrakten zu gelangen. In der ersten Abfassung des Werks skizziert er in bildlicher Weise das Individuum bzw. die Landschaft auf der Leinwand. Die Elemente dieser ersten Phase sind daher leicht zu interpretieren. Anschließend greift Mombelli palimpsestmäßig mit deckender Farbe ein, wobei unregelmäßige Öffnungen, Breschen oder Fenster freigelassen werden, aus denen das darunter liegende Gemälde pulsierend zum Vorschein kommt; so kommt der Künstler unter Verwendung von Inschriften in Sgraffitotechnik auf neutralen Flächen, Kontextualisierungen sowie mit Wachsfarben gezogenen Umrahmungen dazu, auf der neuen Oberfläche die bildenden Gleichgewichte, welche eng mit der informellen Ausdrucksweise zusammenhängen, zu behandeln. (“Nehmen wir an – führt er aus – dass aus dem Grund meines Bildes ein rotes Feld und ein blauer Halbmond herausragen. Unsere Wahrnehmung wäre dazu geneigt, in der Folge unmittelbar das Vorbringen des Rots zu begünstigen. Umrahme ich hingegen den blauen Halbmond mit einer Sgraffitomalerei, erteilt unser Auge unverzüglich diesem die Priorität der Sicht, um anschließend das rote Feld in Betracht zu ziehen”). Nun ist es wohl interessant, den von Eugenio Mombelli zurückgelegten Weg kennen zu lernen. Alles begann in den Siebzigerjahren. Zu jener Zeit arbeitete der am Kunstgymnasium und anschließend an der Fakultät der Architektur ausgebildete junge Künstler vor allem im Bereich der vollen Erkennbarkeit seiner Motive, welche großteils in der bildlichen Erkundung des weiblichen Universums bestanden. Dennoch wog er in diesen Untersuchungen die Unzufriedenheit aufgrund einer immer noch zu engen Bindung an die akademische Malerei und deren entblößte Identifizierbarkeit mit der engen Deckungsgleichheit zwischen Bedeutung und Bedeutsamem ab. Die Figur, was immer sie auch darstellte, schien zu sehr entblößt, insbesondere in den krampfhaft traditionsfeindlichen Abschnitten des Novecento, welches den Malern innerhalb des rein Bildlichen nur dürftige Spannen eingeräumt hatte. Die Figur schien nicht nur deren Banalität aufzuzeigen, sondern es wurde ihr unmittelbar ein Horizont süßlicher und völlig veralteter Ausdrucksweise angerechnet. Mombelli beschloss, sich selbst den vollen Einblick zu verweigern und griff mit geometrischen Maskierungen in weibliche Antlitze und Körper ein. Zwischen 1980 und 1990 gelangten seine Figuren zu einer weiteren Synthese, welche auf eine “innerliche Sicht” ausgerichtet war. Der wahre Wendepunkt in Richtung der abstrakten Behandlung einer bildlichen Grundlage ereignete sich zwischen 1990 und 1995, als nach Aufgeben der Geometrie der Masken die Massen sowie die Gleichgewichte, die Bestandteile der Figur sowie die dick aufgetragenen Grundierungen begannen, jene Ergebnisse an hoher farblicher und bildlicher Harmonie zu erzielen, angesichts derer das Auge auf seine Kosten kommt und das Gehirn die Folgen einer innerlichen Erzählung projiziert.

deutsch

Maurizio Bernardelli Curuz

biography, biographie, Biografie

exhibitions, expositions, Ausstellungen

paintings, tableaux, Gemälden

contact, contact, Kontakt

critic, critique, Kritik

iron and stone, en fer et en pierre, Eisen und Stein

Eugenio Mombelli